22. März 2000

TIBET INFORMATION NETWORK

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Gefängniserweiterung in Lhasa

Im vergangenen Monat von einem Touristen in Lhasa aufgenommene Photos zeigen das Entstehen eines zusätzlichen Zellentraktes in dem Outridu Gefängnis (auch als Lhasa Prison bezeichnet), sowie größere Umbauarbeiten in Drapchi, dem Gefängnis No. 1 der TAR. Die Bilder enthüllen eine dramatische Vergrößerung der Gefängniskapazität in der tibetischen Hauptstadt. Vielleicht ist die Ursache hierfür die Besorgnis der Regierung über die wachsende Verbrechensrate und die sozialen Probleme in Lhasa, einer Stadt, die im vergangenen Jahrzehnt rapide expandierte mit einer immer größeren Zahl an chinesischen und moslemischen Hui Einwanderern, die in den offiziellen Statistiken nicht erfaßt sind.

Teil 1

Erweiterung des Outridu Gefängnisses

TIN berichtete im Oktober 1999, daß ein neuer Zellentrakt in dem Outridu Gefängnis (die tibetische Version des chinesischen Wuzidui, was Einheit No. 5 bedeutet) des Sangyip Sicherheitskomplexes in den nordöstlichen Vororten Lhasas gebaut wird, was auf eine annähernde Verdoppelung der Gefängnisbelegung von Outridu seit 1997 hinweist. Die neuen Photos, die auf der website von TIN (www.tibetinfo.net/news-updates) zu sehen sind, deuten darauf hin, daß sich das Aufnahmevermögen von Outridu verdoppelt haben könnte. Zweifache Zellenreihen liegen entlang der ganzen Nordseite jedes Gefängnishofes, dazu kommt mindestens eine halbe, zwei Stockwerke hohe Zellenreihe entlang der Südseite. Als die Photos Anfang dieses Jahres gemacht wurden, gab es 17 solcher Zellenreihen, möglicherweise gar 20. Ursprünglich hatte diese Haftanstalt, die 1997 in Lhasa Gefängnis umbenannt wurde, nur 5 Zellenblöcke.

Teil 2

Neubau in Drapchi

Die Photos des Drapchi Gefängnisses zeigen, daß der Südteil der inneren Gefängnismauer verlegt wurde. Man sieht auch eine Baugrube und Fundamente zwischen dieser Mauer und einem neuen Gebäude, das ein Gefängnishospital sein könnte. Es ist noch nicht klar, wozu dieser Neubau dient, aber die Ausmaße der Aushebung und die Verlegung der inneren Mauer lassen schließen, daß eine größere Umgestaltung des Gefängnisses bevorsteht.

Zwei weitere Gefängnistrakte sind sichtbar. Neuesten Informationen zufolge könnte einer davon für weibliche Gefangene beabsichtigt sein. Man sieht auch ein neues dreistöckiges Gebäude mit Balkonen, bei dem es sich um Unterkünfte für Personal handeln könnte. Im Unterschied zu anderen derartigen Bauten befindet es sich jedoch zwischen der inneren und äußeren Umrundungsmauer. Eine Verstärkung der auf dem Gefängnisgelände stationierten PAP (bewaffnete Volkspolizei) Wachen würde eine noch schnellere Niederschlagung von Gefängnistumulten garantieren.

Die friedlichen politischen Proteste in Drapchi vom 1. und 4. Mai 1998 veranlaßten wahrscheinlich die Machthaber, sich über die Sicherheitsvorkehrungen im Gefängnis Gedanken zu machen. Hunderte von Gefangenen, sowohl politische als auch kriminelle, riefen bei diesem Protest Parolen für den Dalai Lama und die tibetische Unabhängigkeit. Mindestens 9 tibetische Gefangene kamen in der Folge ums Leben.

Frühere Photos von Drapchi zeigen ein neues dreistöckiges Gebäude, das nach Aussage eines früheren politischen Gefangenen Unterrichtsräume für die kriminellen Gefangenen enthält. Vor diesem Gebäude ist ein großer betonierter Platz, wo im Mai 1998 die Proteste begannen. Die Erweiterung der Gefängnisse mag die Entschlossenheit der Regierung bezeugen, jedem weiteren Ausbruch politischer Unruhen innerhalb und außerhalb der Gefängnisse sofort Einhalt zu gebieten.

Die TIN zugegangenen Daten lassen schließen, daß die Gefängniskapazität in Lhasa vergrößert wird, während gleichzeitig die Anzahl an politischen Gefangenen seit dem offensichtlichen Höhepunkt in 1995/6 in Drapchi leicht zurückgegangen ist, denn die Abgänge überwiegen derzeit über die Einlieferung neuer Gefangener. Der Mißbrauch in den Haftanstalten Lhasas ging jedoch nicht zurück. Die brutale Vergeltung der friedlichen Kundgebungen in Drapchi vom Mai 1998 stellt einen der ernstesten Repressionsakte seit der Auferlegung des Kriegsrechtes im März 1989 dar.

Teil 3

Soziale Umschichtung in Lhasa

Die Erweiterung der Gefängniskapazität in Lhasa mag auch die Absicht der Behörden, dem Verbrechen in der Stadt Einhalt zu gebieten, reflektieren und, daß man sich auf einen weiteren Anstieg der Stadtbevölkerung einstellt. Die rapide Urbanisierung in Lhasa hat zu einem Bevölkerungsanstieg in den vergangenen 40 Jahren um das siebenfache geführt von 30.000 in 1959 auf schätzungsweise 200.000 heute, wobei über 60% davon Chinesen sind. Offizielle Bevölkerungsstatistiken geben jedoch kein genaues Bild der in Lhasa ansässigen Bevölkerung. Sie lassen beispielsweise das Militär oder die nichtregistrierten Wanderarbeiter aus China, die auf der Suche nach Arbeit in die Stadt kommen, unberücksichtigt. Diverse administrative Vereinfachungen für die Wanderarbeiter verbunden mit materiellen Lockmitteln und höheren Löhnen begünstigten den Zustrom chinesischer Siedler in den letzten 10 Jahren.

Die Geschwindigkeit der Expansion Lhasas hat vor allem den Druck auf die Tibeter vermehrt, ebenso hat sie viele soziale Probleme, wie sie kennzeichnend für Ballungsgebiete in der ganzen Welt sind, mit sich gebracht: Glücksspiel, Prostitution, Alkoholismus und Gewaltverbrechen. Lhasa ist heute eine Gesellschaft, deren traditionelle Fundamente durch die Entstehung neuer sozial-ökonomischer Strukturen immer brüchiger werden, eine Entwicklung, die sich bis in die 50er Jahre zurückzuverfolgen läßt. Die wirtschaftliche Öffnung Lhasas Anfang der 90er Jahre wirkte als Katalysator für das Wuchern von Prostitution und Spiel. Es gab vereinzelte, aber fehlgeschlagene Versuche von Kadern, solches Treiben in der Stadt auszurotten. Tenzin, der Stellv. Parteisekretär der TAR, warnte immer wieder andere Parteigenossen, daß für ein ungezügeltes wirtschaftliches Wachstum auch ein Preis zu zahlen sei. Bei einer Konferenz im Dezember 1996 sagte er: "Alle lokalen Verwaltungsorgane und Ämter sollten sich des ernsten Schadens von Pornographie, Glücksspiel und Narkotika in unserer Gesellschaft bewußt sein. Wir müssen wissen, daß einige unserer Kameraden den Ernst dieser Gefahr nicht ganz begreifen. Manche meinen, daß soziale Konfusion in den Anfangsstadien einer sozialen Marktwirtschaft unvermeidbar sei. Andere denken, weil das vordringliche Ziel die Förderung der Wirtschaft ist, müßten wir diese falschen Tendenzen überwinden."

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